26.07.2016

Wie soll unsere zerfallende Gesellschaft mit gewalttätigen Angriffen auf ihr System umgehen?

Der Kern des Problems liegt in der Hervorbringung von Menschen, an denen wir drei Parameter feststellen können, bei aller Unterschiedlichkeit:
Ihr eigenes, oft junges, keineswegs stets "objektiv" verzweifeltes Leben muss so unlebbar geworden sein, dass es nur beendet werden kann. Für so etwas gibt es sehr viele, sehr unterschiedliche Gründe.
Diese Erkenntnis des unlebbaren Lebens muss sich verbinden mit einem grenzenlosen Hass auf das gelebte Leben der anderen. Was vernichtet werden muss, ist Leben, das Lust, Hoffnung, Zukunft und Kommunikation in sich trägt.
Für das Beenden des eigenen Lebens und die Vernichtung von möglichst vielen unschuldigen Menschenleben, den Genuss des Leidens der anderen im eigenen Sterben, muss es eine Legitimation, irgendeine Form von Begriff, Idee oder Metaphysik geben. Vorbilder (wie in diesem Fall Dramaturgien von anderen Amokläufen), Begleitungen (die dschihadistischen Gesänge, der Nazirock) und Bilder (der bewaffnete Männerkörper im Augenblick des flammenden Infernos etc.). Die persönliche Rache gehört genauso dazu, wie es eine rigoros codierte Erlösungsreligion sein kann oder die Wiederherstellung einer mythischen Rassen- oder Volksgemeinschaft.
Entscheidend ist dabei wohl, dass sich die drei Elemente miteinander verbinden. Jede terroristische Biografie bildet sich aus eigenen, unberechenbaren Verbindungen; ohne alle diese Elemente wird man wohl kaum einen Selbstmordattentäter finden; ihre Verknüpfung kann sich über einen längeren Zeitraum abspielen, aber auch in kurzer Zeit zur Zündung gelangen. Der Angriff eines Terroristen oder Amokläufer richtet sich also nie wirklich gegen einen "Feind", sondern gegen das Leben, das ihm selbst verwehrt ist ... Terror macht böse. Es war eine große, wichtige Geste, mit der der französische Autor Antoine Leiris 2015 den Attentätern entgegen hielt: "Meinen Hass bekommt ihr nicht". Es ist wirklich sehr schwer zu sagen, wie viele Menschen dazu fähig sind. Angesichts der Toten nicht zu hassen hat etwas schier Übermenschliches an sich ... Es ist nötig, aus der rauschhaften Erfahrung einer Gemeinsamkeit in der Katastrophe ein gesellschaftliches Projekt zu formen. Dass jede Tat in sich unsagbar und unerklärbar ist, bedeutet nicht, dass sie keine Vorgeschichte, keine Umstände, keine Verstärkungen und Bestätigungen, keine Begleitumstände und keine freiwilligen oder unfreiwilligen Mittäter hätte ... Niemand kann eine Katastrophe verhindern, denn es gibt kein System, das immun gegen Angriffe und immun gegen innere Widersprüche sei. Eines der großen Versprechen der Demokratie allerdings war es, dass es nicht nur ein anpassungsfähiges, sondern auch ein lernendes System sei, eines, das immer mehr Bewusstsein von sich und der Welt hat, kurzum, dass es zugleich Garant von Freiheiten und Instrument der Aufklärung sei ... Wir können nicht verhindern, dass soziale, politische und menschliche Katastrophen geschehen. Aber wir können verhindern, dass sie zum unaufgeklärten, unverstandenen, medialisierten, ideologisch manipulierten, politisch und ökonomisch missbrauchten Normalfall werden.
Auszüge aus einem Artikel von Georg Seeßlen, Kulturjournalist: www.zeit.de/kultur/2016-07/amoklauf-muenchen-terror-medien-sprachlosigkeit-essay/komplettansicht

23.07.2016

Die NATO-Politik ist offen für einen großen Krieg

Bundesweite Demonstration am 8. Oktober 2016 in Berlin Der diesjährige NATO-Gipfel fand in Warschau statt. Zeitgleich veranstalteten sechs polnische Organisationen aus der Friedens- und sozialen Bewegung sowie das internationale Netzwerk No to War – No to NATO am Wochenende vom 8. bis 10.7. in Warschau den NATO Gegengipfel „No to War – No to Militarism – Yes to Refugees“ und die Demonstration „Money for the Hungry not for Tanks“. Ziel der Veranstaltungen war die weitere Delegitimierung des größten Militärbündnisses der Welt, das weltweit permanent in Kriege verwickelt ist. Das internationale Netzwerk veranstaltet mit Partnern seit 2009 zu jedem NATO-Gipfel Protestaktionen und inhaltliche Diskussionen.
WELTNET.TV präsentiert Reiner Braun, Mitglied des internationalen Koordinierungsausschusses (ICC) von No to War – No to NATO, mit einem Fazit nach dem 3-tägigen Gegengipfel: https://youtu.be/VQJyA5EEOb8

Die bundesweiten Demonstration in Berlin soll am 8. Oktober 2016 um 12 Uhr in Berlin auf dem Alexanderplatz beginnen: "Die Waffen nieder! Kooperation statt NATO-Konfrontation! Abrüstung statt Sozialabbau!" Aufruf der Initiatoren: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22970
Weitere Informationen auf: www.no-to-nato.org

11.07.2016

Apokalypse als Mainstream: Todeskultur

Die Flucht des Systems in die Selbstzerstörung - die den amoklaufenden Terroristen zu ihrer Avantgarde macht - kommt auch in den Produkten der Kulturindustrie zu Geltung, die sich im Weltuntergang, in der Zombieapokalypse suhlt. Nicht nur im Kino, auch im Computerspiel als dem avanciertesten industriekulturellen Produkt, ist die Apokalypse längst zum Mainstream geworden.
Die zunehmende Krisenkonkurrenz bringt eben entsprechende Kulturprodukte hervor, in denen diese Realitäten gespiegelt werden: von Breaking Bad bis Game of Thrones. Das System kann Alternativen zur kapitalistischen Dauerkrise nicht verhandeln, deswegen schwitzt es die Ahnung seiner letalen Krisis in einer Flut brutalster Weltuntergangsprodukte heraus.
Der Spätkapitalismus bringt in seiner Kulturindustrie eine regelrechte Todeskultur hervor, die den Weltuntergang in ästhetisch reizvolle Bilder verpackt. Womit sich der Kreis zu der Todessekte Islamischer Staat schließt, die gerade kein Anachronismus ist, sondern Produkt der krisenhaften kapitalistischen Globalisierung: sowohl auf ideologischer Ebene, in der expliziten Todessehnsucht, die der IS mit der Kulturindustrie teilt, wie auch organisatorisch, als global agierendes Netzwerk und Label, mit dem sich jede autoritäre Persönlichkeit identifizieren kann, die an den krisenbedingt eskalierenden Widersprüchen zerbricht ..."
Eine kulturpolitische Analyse: www.heise.de/tp/artikel/48/48780/1.html

04.07.2016

Wie man lernen soll, Bomben zu lieben

Deutsche Rüstungsexporte in einem Jahr fast verdoppelt.
Die deutsche Rüstungsindustrie ist im vergangenen Jahr zu einer der erfolgreichsten Branchen aufgestiegen. Für die Folgen des Geschäfts – millionenfache Flucht und Vertreibung – muss die Industrie allerdings nicht aufkommen: Die europäischen Steuerzahler sind die Lebensversicherung einer immer einflussreicheren Industrie ... Das Geschäft mit Waffen aus Deutschland boomt. Laut einem Bericht der Welt am Sonntag haben sich die deutschen Rüstungsexporte 2015 im Vergleich zum Vorjahr auf rund 7,9 Milliarden Euro beinahe verdoppelt.
... daher ist interessant, dass gestern Finanzminister Wolfgang Schäuble, der starke Mann in der CDU, klar machte, an der Sparpolitik und den "Regeln" festzuhalten, aber auch einen Vorschlag ins Spiel brachte, der einen Vorstoß von Steinmeier und Ayrault und von der EU-Außenbeauftragten Mogherini (EU: "Eine schlagkräftige europäische Verteidigungsindustrie schaffen") aufgriff und verstärkte: eine größere Einheit der EU durch eine gemeinsame Rüstungspolitik und letztlich durch eine europäische Armee. Auch Schäuble spielte wieder auf ein Kerneuropa an (Schäuble: EU-Kommission in den Hintergrund rücken), was möglicherweise zu der gemeinsamen Rüstungs- und Verteidigungspolitik gehören soll. Allerdings setzte sich Schäuble von Steinmeier ab, der vor wenigen Tagen eine andere Russlandpolitik und ein Ende des "Säbelrasselns" der Nato gegen Russland forderte. Natürlich wäre es dumm, für eine Verstärkung der europäischen Rüstungs- und Verteidigungspolitik zu werben und gleichzeitig für Entspannung einzutreten ... Bislang wurde gerne argumentiert, die EU habe dafür gesorgt, dass aus Europa eine Friedensregion wurde und sich kein Krieg mehr zwischen den Staaten ereignet hat. Deswegen müsse sie auch bewahrt und womöglich vertieft werden. Heute wird nach dem Brexit argumentiert, dass die EU in einer "konfliktreichen Welt" ringsum bedroht ist und Gemeinsamkeit militärisch und sicherheitspolitisch gegen diese Bedrohungen vom Terrorismus über Migration und die Wirtschaft bis hin zu Bedrohung aus dem Osten, auch "hybride Bedrohungen" genannt, herstellen müsse ... Die Vision von Europa ist kein Fortschrittsprojekt mehr, sondern es wird durch Angst zu einem Verteidigungskonzept der Bewahrung, mit Schwerpunkt auf "Verteidigung, Cybersicherheit, Terrorismusbekämpfung, Energie und strategische Kommunikation": Wir brauchen ein stärkeres Europa. Das sind wir unseren Bürgern schuldig, das wird weltweit von uns erwartet. Wir erleben gegenwärtig eine existenzielle Krise, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union ... Nur mit einer gemeinsamen Verteidigungspolitik könnten möglicherweise die Erosionsprozesse gestoppt und die baltischen und osteuropäischen Länder womöglich eingebunden werden ... Verteidigungs- und Rüstungspolitik: Die ist, wie man aus den USA und Russland weiß, auch immer eine Wirtschaftsförderungs- und Beschäftigungsmaßnahme, also ein staatliches Konjunkturprogramm.

Geleakte E-Mails des Ex-NATO-Kommandanten belegen Kriegspropaganda ... 
Die Enthüllungsplattform DC Leaks hat private E-Mails des ehemaligen Generalstabschefs der Nato in Europa, Philip Breedlove, veröffentlicht.
Die von General Breedlove aufgetischten Anzeichen für eine angeblich vorbereitete Großoffensive Russlands in der Ukraine erwiesen sich als haltlos ... Inzwischen wurde durch The Intercept ein Leak bekannt, der Steinmeiers Sorgen vor dem eifrigen Kriegsherrn bestätigt ... Die Mentalität des Pentagon, die Politik mit dreisten Lügen zum Kauf von Rüstungsgütern zu motivieren, hat eine lange Tradition, die etwa in den 1980ern mit dem legendären Team B einen Höhepunkt markierte. Die damals von George H.W. Bush geleitete CIA setzte eine Kommission ein, die dem Pentagon von russischen Geheimwaffen kündete und etwa aus der Radaranlage in Krasnojarsk eine Laserkanone machte. Berühmt ist auch die Rede Colin Powells 2003 vor der UNO, in der er über „rollende Labors“ der irakischen Armee fantasierte und damit die Rüstungsproduktion ankurbelte.

"Europäische Militarisierungsoffensive" - eine Analyse nach dem Brexit: https://www.jungewelt.de/2016/07-06/060.php


Friedensgutachten 2016
Krieg und Bürgerkrieg, Repression und Terror, Staatsversagen und soziale Perspektivlosigkeit treiben Millionen Verzweifelte dazu, woanders eine bessere Zukunft zu suchen. Viele hatten zunächst in den Nachbarstaaten Zuflucht gefunden. Den gefährlichen Weg nach Europa wagen sie, weil ein Ende der Gewalt zu Hause nicht in Sicht ist, die Hilfsmittel der UNO gekürzt wurden und die Lebensverhältnisse in Europa Hoffnung verheißen ... Auch in Europa destabilisieren aggressive Machtpolitik, Renationalisierung und transnationale Gewaltakteure die bestehende Staatenordnung. Militärische Einmischung und neues Wettrüsten drohen die internationalen Beziehungen zu vergiften.
Das Friedensgutachten ist das gemeinsame Jahrbuch der Institute für Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik.