Zur Transformation der freien Presse ins nationale
Gefühlsmanagement
Die einst ironisch gemeinte Frage »Warum sachlich, wenn es
auch persönlich geht?« ist zum Leitfaden des Journalismus im Zeichen des
Mainstreaming geworden. Die Nachricht hat keine Distanz zu ihrer eigenen
moralischen Bewertung. Die Bilder der Flüchtlinge, die uns über unsere, nun
eben: Mainstream-Medien erreichen, sind samt und sonders »Einstellungen« in
einer mythischen Inszenierung. Was Mainstreaming als ästhetische Praxis
bedeutet, lässt sich leicht daran erkennen, dass aus einer nahezu endlosen
Fülle von Bildern immer wieder drei oder vier zur Produktion der
ikonographischen Endlosschleifen ausgewählt werden. Dahinter steckt keine
Verschwörung, sondern das spezielle Wirken einer Maschine, die ihre
effizienteste Arbeitsweise sucht. Da sie nicht für die Gesellschaft, sondern
für den Markt produziert, kann ihr Produkt nicht »Information« sein, sondern es
muss zählbare Aufmerksamkeit sein, Zustimmung, die sich auszahlt. Würde von
einem Tag auf den anderen die äußere Wirklichkeit einfach aufhören zu
existieren, so müsste sich die Medienmaschine (die Metamaschine, die etliche
Maschinen zusammenfasst) nur noch in Nuancen ändern …
»Lügenpresse« ist der Kampfruf zur Eroberung eines
Instruments, das ökonomisch so stark wie kulturell schwach ist. Wer das
Management der Gefühle beherrscht, bekommt früher oder später auch die
politische Macht …
Das »Lügenpresse«-Gegröhle »da unten« ist die vollkommene
Entsprechung der Strategien der Damen und Herren »da oben«, in jeder Talkshow,
in jedem Zeitungskommentar präsent zu sein, während man parallel ein eigenes
Mediennetz aufbaut. Auch die braunen Shitstormer sind da eine willkommene
Manövriermasse, nicht nur indem sie ein Chaos- und Bedrohungspotential, die
Vergiftung der Gefühle und der Sprachen, erzeugen, sondern auch weil sie den
Diskurs zum Verstummen bringen …
Es geht um das Kapern der nationalen Gefühlsmaschinen und
die Ersetzung der Wirklichkeit durch das völkische Subjekt. Was wirklich ist,
bestimmt die faschistische Konstruktion von Geschlecht, Rasse, Nation und
Kultur. Wie leicht ihnen das gemacht wird, das, unter anderem, erzählt vom
wirklichen Zustand unserer Medien.
Aus einem Artikel von Georg Seeßlen: http://jungle-world.com/artikel/2016/07/53499.html
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