16.11.2013

Kriegsgedanken in neuen Büchern

Krieg schafft Mord, Totschlag, Not, Elend, Zerstörung, Verzweiflung – wer weiß das nicht.
Neuerdings werden Kriegen wieder evolutionsbedingte oder gar positive Eigenschaften zugeschrieben. Die neue, im Grunde uralte These heißt, sie seien unvermeidbar, ja sie hätten sogar den menschheitsgeschichtlichen, gesellschaftlichen Fortschritt befördert. Und die Zahl der durch sie zu verantwortenden Toten hätte sogar abgenommen. Sogar wissenschaftlich Unverdächtige verleihen derzeit solchen Thesen ihre Sympathie. Fakten, glauben sie, sprächen dafür.
So meint der englische Historiker Christopher Clark in seinem Buch „Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“, dieser Weltkrieg wäre nicht durch eine bewusste Willensentscheidung macht- und finanzimperialer Kräfte herbeigewünscht, sondern seine Verhinderung verschlafen worden. Kriege passieren demnach, weil der Mensch evolutionsbedingt fahrlässig handelt, dies sei biologistisch rationalisierbar.
Der englische Historiker Ian Morris hält Krieg als „Triebfeder des Fortschritts“ für notwendig. Er behauptet: „Er hat die Menschheit – auf lange Sicht – sicherer und reicher gemacht. Krieg ist die Hölle; nur dass die Alternativen – wieder auf lange Sicht betrachtet – schlimmer gewesen wären.“
Frieden scheint keine denkbare Triebfeder für Fortschritt zu sein. Er wird anscheinend assoziiert mit Stagnation, Trägheit, Faulheit, Schläfrigkeit, vielleicht sogar mit Rückschritt und Untergang.
Friedliche Menschen sind nicht fähig zu verbessernden Maßnahmen im menschlichen Zusammenleben? Das schien die übergroße Masse der Kriegsbegeisterten geglaubt zu haben, als sie in das große Massenmorden des 1. Weltkriegs marschierte, darunter Künstler und Intellektuelle. Wohl auch die Befürworter des 2. Dass ihr Geist „schlief“, kann man behaupten. Auch, dass es keine Entscheider gab, die ihn wohl durchdacht einkalkulierten, weil ihr „Traum“ von Endsieg und Weltmacht und Reichtum sie dazu „trieb“?
Morris behauptet weiter: „… größeren Gesellschaften wiederum konnten nur funktionieren, wenn ihre Herrscher stärkere Staaten entwickelten, und mit das Erste, wofür diese Staaten sorgen mussten, wollten sie an der Macht bleiben, war die Unterdrückung der Gewalt innerhalb der Gesellschaft.“ Größer werdende Staatsgebilde „müssen“ demzufolge „größer“ werden, was nur durch Kriege zu bewerkstelligen sei. Für kapitalistisch-imperiale Staaten mag das stimmen, nicht aber für die ihre Gesellschaft bildenden Menschen. Und Gewaltunterdrückung im Innern bereitet Gewaltausübung der Menschen außerhalb der Grenzen vor, sonst wären sie kriegsmüde. Aber Morris legt nach: „… sorgte … der Krieg für Staaten und Staaten für Frieden.“ So wird Friedenswunsch zum Kriegsgrund, Krieg zur Grundnotwendigkeit der „Menschheitsentwicklung“, unter der die Durchsetzung ökonomischer Interessen zu verstehen ist, über die man schweigt, um bioevolutionär argumentieren zu können.
Krieg als „Vater“ menschlichen Fortschritts? Wer hier nach der „Mutter“ fragt, kommt nicht weiter. Ist die „Trieb“feder Krieg vielleicht als „Geschlechtsakt“, gar als „Orgasmus“ menschlicher Lebensart zu verstehen? Irren all jene, die in ihm den atavistischen Rückfall in Gewalttätigkeit sehen? Irren all jene, die darin eine Entscheidung von Bevölkerungskreisen sehen, die ihre Macht- und Gewinnansprüche erweitern wollen?
Kriege wird es immer geben, heißt es. Das wird so sein, solange Krieg nicht zum Friedensgrund und Frieden als Grundnotwendigkeit einer menschlichen Menschheitsentwicklung angesehen wird. Aber so denken Menschen nicht, denen anderes wichtiger ist.
Kriege alten Stils wird es vermutlich nicht mehr geben. Künftig werden digitale Funktionen dafür sorgen, dass potentielle Gegner (wessen?) handlungsunfähig gemacht werden, bevor sie dazu in der Lage sind. Damit wird gesellschaftlicher Fortschritt nicht mehr richtungsoffen sein. Der militärisch Stärkere entscheidet über seine Ausrichtung – in jeder Hinsicht.

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