In den „… am 22. April 2012 auf dem 63. Ordentlichen
Bundesparteitag der FDP beschlossenen »Karlsruher Freiheitsthesen« … heißt es:
Da Verwaltung und Staatshaushalt mit der »Zuständigkeit für alle
gesellschaftlichen Problemlösungen« überfordert seien und der Staat an die
Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stoße, sollen die neuen »Möglichkeiten
gesellschaftlicher und politischer Partizipation« als »Chancen der digitalen
Gesellschaft für vernetzte politische Problemlösung« entfaltet, die in den
Bundesländern bereits erprobten Verfahren der Bürgerbeteiligung »ausgebaut und
verbessert« sowie Volksbegehren und Volksentscheide auch auf der Bundesebene
eingeführt werden. Gebraucht werde »eine neue Arbeitsteilung zwischen Staat,
Markt, Zivilgesellschaft und Bürgern« … Auf diese Weise ließen sich die Bürger
besser in ökonomisch geforderte Strukturanpassungen einbinden, denn
Partizipation »schafft ein Verständnis für die Komplexität der Realität und
dämpft überzogene Erwartungen« … bereitet die Einführung von mehr direkter
Bürgerbeteiligung auch auf der Bundesebene den Weg »zu einer noch besseren
Regierungsführung«. Die Mittelschicht müsse sich selbst zu Wort melden und dabei
von herkömmlichen Demonstrationen, über den Flashmob, Mailingaktionen und
Guerillamarketing auf das gesamte Repertoire der heute zur Verfügung stehenden
Protestmittel zurückgreifen, um zu verhindern, »daß Politik vor allem auch auf
ihre Kosten gemacht wird« … Aufgabe verantwortlicher Politik sei es, … »die
Frustration und den Protest zu kanalisieren, zu organisieren und konstruktiv zu
gestalten«, um auf diese Weise »wieder handlungsfähig« zu werden. Denn: »Je
früher man miteinander spricht, desto größer ist die Chance auf eine Einigung,
da weniger Porzellan im voraus zerschlagen wurde«. Ein erwünschter Nebeneffekt
ist die Kostenersparnis für beteiligte Privatunternehmen und die öffentliche
Hand, die nicht zuletzt durch die Verbesserungsvorschläge von sogenannten Bürgerexperten
erreicht werden kann … Dabei geht es jedoch nicht um die Überwindung von
Herrschaft, sondern darum, das Handeln sogenannter Entscheidungsträger zu
effektivieren und besser zu legitimeren. Teilhabe der Bürger ist in der
politischen Mediation kaum mehr als ein Mittel zum Zweck: eine neue,
ausgefeilte Spielart sozialtechnologischer Herrschaft. Sie fingiert die
Selbstorganisation der aktivierten Bürger, die aber schon deshalb keine echte
Selbstbestimmung ist, weil die Waffengleichheit der Kontrahenten schon in
formaler Hinsicht gar nicht angestrebt wird. Denn egal was bei einer
politischen Mediation vereinbart wird: Eine politisch bindende Entscheidung ist
damit nicht verbunden.“
Aus einem Artikel von Thomas Wagner auf: www.jungewelt.de/2012/08-20/003.php
Die Gegentendenz:
„Die parlamentarische Demokratie ist zweifellos eine
zivilisatorische Errungenschaft. Umso erstaunlicher, dass immer mehr Autoren
aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft diese Staatsform als nicht mehr
realitätstauglich ad acta zu legen bereit sind … »Abgesang auf ein
gescheitertes System« … dass Entscheidungen im althergebrachten Sinne nicht
mehr möglich sind, wenn ständig verhandelt und nachverhandelt wird … die
klassische Perspektive jener Eliten …, für die Demokratie nicht auf die
Selbstregierung der Mehrheit zielt, sondern vor allem Herrschaftstechnik ist.
Diese beurteilen sie nach Effektivitätskriterien. Hier fügt sich nahtlos ein, …
der gewöhnliche Bürger bewege sich in Fragen des öffentlichen Wohls »zwangsläufig
auf niederem Kompetenzniveau« …
Demokratie ist kein Gegenstand, dessen Funktionsbeschreibung
ein für allemal unverrückbar feststeht, sondern ein politischer Begriff, dessen
Bedeutung in politischen Kämpfen entstanden ist und dessen Inhalt je nach
Interessenlage unterschiedlich interpretiert wird … Demokratisch im heutigen
Verständnis wurden die Parlamente erst in dem Maße, indem es Arbeiterbewegung,
Radikaldemokraten, Abolitionisten und Suffragetten gelang, das Wahlrecht von
wenigen Privilegierten auf alle Staatsbürger zu erweitern und neben der Straße
und den Betrieben auch die Parlamente als Foren zu nutzen, um für die Rechte
der bis dahin Unterprivilegierten zu streiten. Ihnen ging es dabei nicht
vorrangig um eine »Qualitätsverbesserung politischer Entscheidungen«, die
Münkler dem Parlamentarismus auf die Habenseite schreibt, sondern um konkrete
soziale Verbesserungen. Seitdem gelten parlamentarische Demokratien als
Einrichtungen pluralistischer Gesellschaften, die in der Lage sind, die
gegensätzlichen Interessen einer Gesellschaft zu repräsentieren und die aus
ihrem Gegensatz resultierenden Konflikte in einer friedlichen Form auszutragen.“
Aus einem Artikel von Thomas Wagner auf: http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/bringt-die-verhaeltnisse-zum-tanzen
Scheindemokratie einerseits, Demokratieabbau andererseits. Das Buch zum Thema von Thomas Wagner: Demokratie als
Mogelpackung oder Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus
Neue Kleine Bibliothek 168, 143 Seiten, EUR 11,90, ISBN 978-3-89438-470-8
Neue Kleine Bibliothek 168, 143 Seiten, EUR 11,90, ISBN 978-3-89438-470-8
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