30.10.2013

Gegen Öffentlichkeit

"Es ist eine hübsche Idee, dass die Öffentlichkeit der Verhandlung von Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit dient. Aber sie trifft nicht zu … Im Beruf des Journalismus geht es heute seltener um Kritik, mehr um Stabilisierung. Weniger um das Hinterfragen, eher um das Erklären des Bestehenden … Es soll mittlerweile mehr Pressesprecher in Deutschland geben als Journalisten … wenn wirklich Gefahr droht, schließen allzu viele Journalisten die Reihen fest um das System.
Gegenöffentlichkeit ist etwas anderes. Sie bietet Gelegenheit zum Gespräch zwischen anspruchsvollen Autoren und Lesern, die sich ihrer Vernunft bedienen wollen und ihr Gefühl für Anstand bewahren … Die Gegenöffentlichkeit muss für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Die Leute müssen von ihr erfahren und mit ihr etwas anfangen können. Und sie müssen – ganz praktisch – unter zumutbaren Bedingungen Zugang zu ihr finden können.“
Der Text von Jakob Augstein stammt aus dem Vorwort zu dem Buch "Nachdenken über Deutschland. Das kritische Jahrbuch 2013/2014" von Albrecht Müller und Wolfgang Lieb (Westend Verlag).
Quelle und der ganze Auszug: www.heise.de/tp/artikel/40/40200/1.html
 

19.10.2013

Keine Zeit für Hütchenspiele

Die kanadische Journalistin, Schriftstellerin, Globalisierungskritikerin und politische Aktivistin Naomi Klein schreibt ein Buch zur Thematik Klimawandel. Sie klagt in einem Interview, die großen Umweltorganisationen seien gescheitert, weil sie zu eng mit Politik und Industrie verflochten sind.
Auszüge aus dem Interview:
» In dem Buch, das ich schreibe, geht es darum, wie wir mit der Finanzkrise und der Umweltkrise gleichzeitig fertig werden könnten … Aber dafür müssen wir Bündnisse mit Menschen bilden, nicht mit Konzernen … Ich sehe eine tiefe Verleugnungsneigung in der Umweltbewegung, vor allem bei deren großen Interessenverbänden ... Ich glaube, durch sie haben wir schon mehr an Boden verloren als durch die Ignoranz unserer Gegner. Und zwar, weil sie uns in Richtungen lenken, in denen nur armselige Ergebnisse zu erwarten sind … Seitdem geht es immer um Partnerschaft mit der Industrie. Nicht „Verklagt die Mistkerle“, sondern „Versucht mit den Mistkerlen zusammenzuarbeiten“ ... Stattdessen sollen die Konzerne sogar selbst die Lösung sein ... Die großen Umweltorganisationen, mit ganz wenigen Ausnahmen, haben sehr aggressiv für das NAFTA ((das nordamerikanische Freihandelsabkommen)) geworben, obwohl ihre Mitglieder dagegen rebellierten. Wir haben ein völlig unhaltbares Wirtschaftsmodell des Hyperkonsums globalisiert. Es verbreitet sich erfolgreich über die ganze Welt und tötet uns. Die Umweltorganisationen haben dabei nicht etwa zugesehen – sie haben mitgemacht, als willfährige Helfer … Wir zeigen angesichts des Klimawandels schon jetzt eine Brutalität, eine Bereitschaft, Menschen in großer Zahl zu opfern, die ich wirklich beklemmend finde … wir beschließen hier sehenden Auges, dass Zivilisationen sterben, dass ganze Völker verschwinden … Ich glaube, die großen Umweltorganisationen werden bedeutungslos. Vielleicht bekommen sie noch viel Geld von Konzernen, von reichen Spendern oder Stiftungen, aber ihr ganzes Modell ist in der Krise … Einen wichtigen Impuls sehe ich gerade in Europa, wo 100 Bürgerinitiativen die EU dazu aufrufen, ihren gescheiterten Emissionshandel zu stoppen und stattdessen wirklich darüber zu reden, wie der Schadstoffausstoß in den einzelnen Ländern zu senken wäre. Das ist der Moment, in dem wir uns jetzt befinden. Wir dürfen keine Zeit mehr mit Hütchenspielen vergeuden. «

15.10.2013

Revolte und Prinzipien

Aufruf zu einer Revolte mit Herz und Hirn
Die Liedermacher Konstantin Wecker (66) und Florian Ernst Kirner alias Prinz Chaos II. (38), beides Ur-Bayern und langjährige Aktivisten gegen Krieg, Verfolgung und Ausbeutung, haben einen Appell an den deutschen Michel verfasst, die Lethargie, den inneren Schweinehund sowie alle Ängste zu überwinden, endlich aufzustehen, und laut und deutlich zu sagen: »Nein! Nicht mit uns!«.
Wenn Politik auf dem Firmenparkplatz endet, ständig neue Kriegseinsätze drohen und Whistleblower für Ihren Dienst an der Bürgergesellschaft weggesperrt werden, steigt der Politikverdruss – nicht nur in Deutschland. Dabei entstehen gerade jetzt immer mehr Ansätze für eine neue interaktive politische Öffentlichkeit.
Konstantin Wecker und Prinz Chaos II. beschäftigen sich als Künstler und politische Aktivisten mit den entmutigenden und ermutigenden Seiten einer brandgefährlichen Situation. In einem rasanten Aufruf voller Wut und Poesie drücken sie aus, was quer durch die politischen Lager von vielen gedacht, aber nur selten in dieser Klarheit ausgesprochen wird. Ihr Fazit lautet eindeutig: „Duckt Euch nicht! Steht auf! Stellt Euch zornig gegen die Energie der Zerstörung!“
Ausschnitte (20 Minuten) aus einem Dreiviertelstunden-Interview mit Konstantin Wecker bei Radio Flora zum Buch als Podcast – hier abrufbar: www.dropbox.com/s/lnzddbsm6491jik/Radio%20Flora%20Interview%20Wecker-.mp3
Aufruf an uns alle
In unserem „Aufruf zur Revolte“ heißt es: "Wir brauchen und wollen auch keine charismatischen Führer an der Spitze einer Bewegung. (...) Wir träumen und streiten für eine aktive Bürgergesellschaft, für eine Bewegung freier, selbstbestimmter Menschen für eine freie, selbstbestimmte Menschheit! Die Zeit der Propheten, Führer und Tribunen liegt hinter uns."
Diese Sätze gelten auch für uns beide, als Autoren. In diesem Sinne haben wir den Aufruf als E-Book und PDF kostenlos zur Verfügung gestellt. Und in diesem Sinne wollen wir uns nunmehr auch ein stückweit in den Hintergrund stellen. Nehmt diesen Aufruf in Euren Besitz. Macht damit, was Ihr wollt. Verbreitet ihn, übernehmt ihn in Auszügen oder ganz auf Eure Blogs oder Homepages, druckt ihn aus oder vermailt ihn ... und am besten: lasst Euch etwas eigenes einfallen, verfasst Euren eigenen Aufruf zur Revolte, schreitet vom Gedanken zur Tat: revoltiert in Eurer eigenen Tonart, nach der Melodie Eures Herzens.
"Ändere die Welt - sie braucht es!" schrieb Bertolt Brecht. Und diese Änderung beginnt bei jedem und jeder Einzelnen von uns. Fragt nicht zuerst, was die Mehrheit tut oder nicht tut. Wir selbst sind die Veränderung, die wir brauchen.
Im Vertrauen auf die Kraft der Liebe und der Solidarität,
Konstantin Wecker & Prinz Chaos II.

Kooperation, Gleichheit, Planung als Prinzipien einer ökologischen Gesellschaft
Wie man soziale Gerechtigkeit und ein Wirtschaftssystem ohne Umweltzerstörung unter einen Hut bringen könnte, untersucht der Ökonom Hans Thie in seinem Buch »Rotes Grün«.
Die Bürgerschaft hat ihr Leben selbst in die Hand genommen. Arbeitslos ist niemand mehr, der Sechs-Stunden-Tag die neue Norm. Unternehmen gehören den Produzenten. Wissen und Kultur sind öffentliche Güter, der Geist ist frei. Vor Ort sorgt die Kommune für ein gutes Leben. Alles Öffentliche ist kompromisslos öffentlich geworden. Für wichtige Themen gibt es den Volksentscheid. Ist eine solche Wandlung hin zur Vernunft, zur Mäßigung, zum in jeder Hinsicht gleichen Recht möglich? Ja.
Hans Thie: „Stellen wir uns vor, die Bevölkerung hätte nicht nur Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen, sondern die Grundstrukturen von Wirtschaft und Gesellschaft, und der Mehrheitswille wäre Gesetz.“
Hans Thie, Rotes Grün - Pioniere und Prinzipien einer ökologischen Gesellschaft
176 Seiten, EUR 16.80, ISBN 978-3-89965-552-0
Mehr zu diesem nützlichen Buch:

30.09.2013

Die Qual der Nichtwahl

»Die Ideologie der Wahl macht uns passiv, weil sie Angst- und Schuldgefühle produziert. Anstatt gegen soziale Ungerechtigkeit zu protestieren, kritisieren wir uns permanent selbst dafür, dass wir womöglich die falschen Entscheidungen getroffen haben und nicht erfolgreich genug sind … Die Konzeption von Subjektivität bedeutet heute, konsumistische Entscheidungen zu treffen, sprich Konsument zu sein. Und dafür braucht man natürlich Geld. Wir haben vergessen, dass unsere Idee des Subjekts einst auf den Menschenrechten beruhte … Die Idee, dass das Subjekt seinen Lebensweg bewusst bestimmen und die Klasse wechseln kann, ist der Grundpfeiler des Kapitalismus. Das zeigt sich in den Büchern des 17. Jahrhunderts, aber auch im Konzept des Selfmademans … Heute ist die Vorstellung von Erfolg hingegen sehr medial vermittelt … Konsumlogik. Erst werden wir angehalten, mehr zu konsumieren: Und wenn wir uns dann schuldig fühlen, weil wir zu viel konsumiert haben, bekommen wir gegen viel Geld Therapien à la „Simplify your Life“ offeriert … Wenn die Ideologie der Wahl die Grundlage unseres Freiheitsverständnisses ausmacht, wird das Subjekt zum bloßen Konsumenten. Und dann kommt nur derjenige in den Genuss der Freiheit, der es sich leisten kann. Wenn wir Freiheit hingegen im Kontext universeller Menschenrechte denken, dann entsteht ein Konzept, das unabhängig vom Geld existiert … Eine wirkliche Wahl muss Veränderung bringen. In der Politik muss sie neue Möglichkeitsräume kreieren. Eine echte Wahl produziert Offenheit und Unvorhersehbarkeit … Wir denken nicht ernsthaft darüber nach, ob der Kapitalismus wirklich die ultimativ beste Organisationsform unserer Gesellschaft ist …«
Die Soziologin und Psychoanalytikerin Renata Salecl im Interview: www.freitag.de/autoren/nils-markwardt/diese-ideologie-macht-passiv
Konsumistische Ideologie praktisch: „Simplify your life“ oder „Deutschland schafft sich ab“ - die zynisch geprägten Autoren beider Bücher machen uns vor, zu viel „des Guten“ zu tun, wogegen wir nun das Gegenteil tun müssen. Sie machen uns Schuldgefühle, gegen die wir etwas tun müssen. Das besteht darin, ihnen ihre Bücher und damit ihre Weltanschauung abzukaufen. So werden wir verkauft. Das rechnet sich für sie und das ganze Wirtschaftssystem.

"Es ist eine Gesellschaft, deren Menschen sich von Konzernen darin leiten lässt, was erstrebenswert ist, was Glück bedeutet und ihre Befriedigung im Konsum erfahren, wenn auch nur kurz. Aber das nächste Angebot wartet ja schon. Völlig unfähig, um zu begreifen, dass ein Selbstbewusstsein das Letzte ist, was sich Konzerne für ihre Kunden wünschen. Menschen, die sich nur nach Außen orientieren und keine feste Bindung kennen, sind die konsumfreudigsten Kunden. Vertrauen bietet nicht die Familie, sondern die Marke. Konzerne gegen Selbstbewusstsein."
Auszug aus einem Kommentar von Björn Kügler auf seinem Blog: http://denkland.wordpress.com/2013/10/03/eine-gesellschaft-ohne-selbstbewusstsein/

23.09.2013

Angie Superstar

(… macht zwar nur, was ihr gesagt wird, aber das macht sie gut …)
»Zur Inszenierung des Politikers als Star gehört die Inszenierung und Selbstinszenierung des Publikums als Fans. Bei einem wie Horst Seehofer hat das die klassische Form der Bierzelt-Johler, bei Angela Merkel ist das subtiler …: Da wird sie, im Outfit des schon markenzeichenhaften Hosenanzugs aus dem schwarzen Fastback-Auto steigend, von einer Gruppe junger Frauen erwartet, die eher gecastet als spontan wirken, in der Art, wie sie möglicherweise die Mitglieder einer Boy Group begrüßen würden. Und sie halten „Angie“-Schilder in die Höhe, deren Design auf den ersten Blick wie das Logo eines neuen Discountmarktes anmutet. Was in diesem Bild auffällt, ist die Abwesenheit von Politik und einer dramatischen Logik. Die Technik jugendlicher Star-Beziehung wird auf eine Politikerin in gesetztem Alter übertragen ... Das Land, das sie behütet, will sie als Insel in der Welt vor Chaos und Niedergang schützen … Es gibt nur einen Weg, den uns solch ein Star weisen will: den Weg nach Hause … NSA und Google setzen nur fort, was wir als Wähler schon gewöhnt sind: unsere Auflösung in Daten und Metadaten … Nur zu dumm, dass wir uns in Wahrheit bloß in einer Traumfabrik befinden.« 
Auszüge aus einer Betrachtung von Georg Seeßlen über „Angela Merkel - Zur Inszenierung des Politikers als Star gehört die Inszenierung und Selbstinszenierung des Publikums als Fans“: www.freitag.de/autoren/der-freitag/superstar-1

18.09.2013

Entmachtung der Parlamente


Fritz Glunk, Herausgeber der Kulturzeitschrift "Die Gazette", über das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und den USA und die Politik der Parlamente:
„… europäische …produzenten und andere Verbände singen dieses Klagelied, es werde zu viel politisch entschieden und nicht technisch. Es kann nichts anderes bedeuten, als dass damit Regelungen gemeint sind, die auf demokratische Weise zustande gekommen sind … Das Parlament soll nicht bestimmen dürfen, was der Wirtschaft erlaubt ist und was nicht ... unsere Parlamente werden damit entmachtet.“
Quelle und ganzes Interview: www.heise.de/tp/artikel/39/39873/1.html
 

05.09.2013

Klare Worte


In “Beckmann”, einer ARD-Talk-Sendung, sagte am 29.8.13 der Nahost-Experte, Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders (Transkript-Ausschnitte):
“Darf ich daran erinnern, dass das Giftgas, das Saddam Hussein 1988 in Halabdscha gegen die Kurden eingesetzt hat unter anderem auch von den USA geliefert worden ist? Damals war Giftgas eine legitime Waffe im Kampf Saddam Husseins gegen den verhassten Iran.
Darf ich darauf aufmerksam machen, dass der Süden Iraks einer der am meisten verstrahletn Regionen ist weltweit. Weil die Amerikaner und die Briten dort angereicherte Uran-Munition verfeuert haben. Die höchste Zahl an missgebildeten Babys weltweit werden geboren in den Krankenhäusern von Basra. Es ist ein Ergebnis der Kriegsführung der USA und Großbritanniens.
Und ich bin der Meinung, wenn wir Menschheitsverbrechen anprangern, dann dürfen wir nicht nur anprangern die Schweinereien, die ein Assad-Regime macht. Sondern wir sollten uns einmal selbstkritisch fragen, ob unsere Art uns selber in eine moralische Position zu begeben, ob dass nicht manchmal sinnvoller wäre einen Gang runter zu schalten, bisschen pragmatischer Politik zu machen.”
“Wenn ich noch ein ganz fieses Argument anführen darf … Möglicher Weise, das ist ja so bei diesen Kriegen, spielen da auch Dinge eine Rolle, über die wir uns gar nicht so richtig Vorstellungen machen. Im Juli diesen jahres hat der ehemalige französische Aussenminister Roland Dumas ein sehr interressantes Intwerview gegeben im französischen Fernsehen. Und da sagte er – Dumas – zwei Jahre bevor das in Syrien losging in London bei einen Besuch (unverständlich) von Top-Diplomaten von Großbritannien mit der folgenden Aussage: “Man habe in Großbritannien vor etwas zu machen in Syrien, das Regime zu stürzen. Ob er sich vorstellen könnte, dass Frankreich sich daran beteilige. In Frankreich hat dieses Interview viel (unverständlich) gemacht, in Großbritannien auch. Auch die New York Times hat darüber berichtet, in Deutschland ging das eher unter …”